
Toward Fewer Images: The Work of Alexander Kluge by Philipp Ekardt
Die Kluge-Forschung hat in den letzten Jahren zweifellos ein neues Reflexionsniveau erreicht. In der deutschsprachigen Forschung dokumentierte dies zuletzt eindrucksvoll Dorothea Walzers Monographie Arbeit am Exemplarischen: Poetische Verfahren der Kritik bei Alexander Kluge (Paderborn 2017), die Kluges Film- und Fernseharbeiten auf ihre poetischen Verfahren der Kritik befragt, die als Problematisierung des Verhältnisses von Allgemeinem und Exemplarischem rekonstruiert werden, mit besonderem Blick auf die Interviews. Philipp Ekardts 2018 in englischer Sprache publizierte Monographie, die auf seine Dissertation zurückgeht und über viele Jahre hinweg in Berlin, New Haven, Paris und London erarbeitet wurde, wird nun ebenfalls neue Maßstäbe setzen. Schon in der Vorrede wird das besondere analytische Potenzial von Ekardts Ansatz deutlich. Alexander Kluges Werk, das Ekardt dezidiert in seiner kaum übersehbaren Gesamtheit in den Blick nimmt, wird hier als Paradigma künstlerischer Produktion im 20. und 21. Jahrhundert begriffen, wobei das orientierende Werkkonzept in dreifacher Hinsicht differenziert wird: Es bezieht sich nicht nur 1) auf einzelne Werke, seien es theoretische oder literarische Texte, Film- oder Fernseharbeiten, oder deren 2) Integration in ein Gesamtwerk, das sichtbar zu machen die werkpolitische Absicht der von Kluge herausgegebenen DVD-Kollektionen ist, sondern es stellt letztlich darauf ab, 3) Verfahren und Prozess der künstlerischen Arbeit selbst zu rekonstruieren: Die blickleitende These ist, dass Kluges ,,work" sich als kontinuierliches ,,re-working" beschreiben lässt, also darauf beruht, dass bestimmte Probleme, Topoi und Leitmotive, die sich schon in den ersten Arbeiten identifizieren lassen, immer wieder aufgenommen und nach den Gesetzen von Differenz und Wiederholung variiert werden (xvi–xvii). Programmatisch wird dies im ersten Kapitel des Buchs vorgeführt, das gleichsam mikrophilologisch nachvollzieht, wie eine zentrale Frage von Kluges Arbeit, nämlich das Problem, wie Licht und Zeit im Medium von Kino und Architektur dargestellt werden können, textuell und filmisch immer wieder neu ins Bild gesetzt wird, vom frühen Kurzfilm Brutalität in Stein von 1960 bis zum Spielfilm Die Macht der Gefühle von 1983, um dann in den Geschichten vom Kino von 2007 erneut aufgenommen und in einer Reihe von Anekdoten illustriert zu werden (3–34).
Die Logik der Verknüpfung, die Kluges Arbeiten entwickeln, um werkübergreifende Zusammenhänge zu stiften, bezieht Ekardt dabei völlig plausibel auf das filmische Prinzip der Montage, das Kontinuität durch Unterbrechung herstellt. Überaus instruktiv ist die filmgeschichtliche und -theoretische Kontextualisierung von Kluges Montagetechnik, die im zweiten Kapitel der Arbeit vorgenommen wird: Den Ausgangspunkt bildet hier Kluges groß angelegte DVD-Arbeit Nachrichten aus der ideologischen Antike von 2008, die aus einer kreativen Fortschreibung von Eisensteins Projekt hervorgeht, Marx' Kapital zu verfilmen. In kritischer Differenzierung der bisherigen Forschung argumentiert Ekardt, dass Kluge von Eisensteins Konzept der Montage insofern abweicht, als hier nicht die Kollision gegensätzlicher Bilder im Vordergrund steht, durch die bestimmte, quasi-begriffliche Konzepte zur Darstellung gebracht werden sollen; vielmehr wird die Nähe zu Vertovs Theorie des Intervalls [End Page 147] betont, die darauf abstellt, die räumliche und zeitliche Distanz zwischen verschiedenen Bildern sichtbar zu machen, um zugleich konstruktive Beziehungen und Verbindungen herzustellen (66). Letztlich entwickelt Ekardt jedoch die hochinteressante These, dass Kluge sich von diesen beiden ,klassisch' gewordenen Paradigmen durch eine metareflexive Wendung abhebt: Wie bei Godard, dessen Histoire(s) du Cinéma von 1988 bis 1998 eine wichtige Inspirationsquelle für die Geschichten vom Kino waren, werde die Montage bei Kluge letztlich vom Verfahren zum Gegenstand der Bildproduktion, also selbst zum Objekt theoretischer wie praktischer Filmarbeit (71). Dass Techniken der Montage für Kluge schließlich nicht auf das filmische Medium beschränkt sind, sondern ein generalisiertes Verfahren der Analyse und Kritik sozialer, kultureller und politischer Verhältnisse und ihrer Repräsentation darstellen, erhellt ein Exkurs zu Kluges Zentralkategorie des ,,Zusammenhangs", wie sie in Kluges und Negts Geschichte und Eigensinn begründet wird (72–80). Deutlich wird hier erneut die besondere Stärke von Ekardts Ansatz, die enge Verknüpfung von theoretischem Diskurs und ästhetischer Praxis bei Kluge herauszuarbeiten.
Neben teilweise schon klassisch gewordenen Spielfilmen wie Macht der Gefühle von 1983, an dessen Beispiel das fünfte Kapitel der Arbeit in minutiösen Sequenzanalysen nachvollzieht, wie Kluges Praxis der Montage auf einen ästhetischen und ethischen Bildungsprozess abstellt, der das affektive Unterscheidungsvermögen der Rezipient*innen kultiviert (im Gegensatz zur gleichsam schockhaften Erkenntnis durch die Kollision der Bilder bei Eisenstein) (147–65), nimmt Ekardt dezidiert auch Formen und Verfahren der Bildproduktion und -kombination in den Blick, die dem Kino als modernem ,,Kraftwerk der Gefühle" vorausliegen oder aber auf dieses folgen. Blickleitend ist dabei die These, dass Kluge sich eine Vielzahl von (audio)visuellen Medien auf idiosynkratische Weise aneignet, von der klassischen Malerei über Film und Fernsehen bis hin zu den neueren DVD-Produktionen, um diese in eine metareflexive Konstellation der wechselseitigen Spiegelung und Beobachtung zu setzen. Besonders erhellend ist hier die im sechsten Kapitel entwickelte Analyse, wie Kluge in verschiedenen werk- und mediengeschichtlichen Kontexten immer wieder auf Gemälde Caspar David Friedrichs rekurriert, die in früheren Spielfilmen wie Die Patriotin von 1979 oder Deutschland im Herbst von 1977/1978 noch die Funktion erfüllen, (verpasste) historische oder politische Alternativen zu illustrieren und gleichsam melancholisch zu vergegenwärtigen (175–78), bevor sie in den späteren DVD-Produktionen dann zum Ausgangspunkt für eine grundsätzliche Reflexion über das Verhältnis von Zeit, Bild und Utopie avancieren: Friedrichs Gemälde Das Eismeer von 1824/1825, das Kluges DVD Wer sich traut, reißt die Kälte vom Pferd von 2010 in einer Reihe von visuellen und textuellen Paraphrasen in Szene setzt, wird so gleichsam zum Emblem, in dem sich die gegenstrebige Fügung von ,,Stasis" und ,,Dynamik", malerischem Stand- und filmischem Bewegtbild, der Vergangenheit analoger Kunst und der Zukunft ihrer digitalen Bearbeitung verdichtet (171–75 u. 178–87). Wenn die Kälte-DVD das Sujet von Eis und Schnee kaleidoskopartig in einer ganzen Reihe von Interviews, Kurzfilmen und Anekdoten beleuchtet, etwa mit Helge Schneider in der Rolle des russischen Polarforschers Artur Tschilingarow, dann ist damit bereits auf Kluges Projekt einer alternativen Enzyklopädie des Weltwissens verwiesen, das an Schlegels Entwurf einer progressiven Universalpoesie erinnert und sich auf der Homepage <www.dctp.tv> in Ansätzen realisiert findet (115). [End Page 148]
Wie Kluge seine verschiedenen Film- und Fernsehprojekte im digitalen Medium archiviert und zugleich neu miteinander vernetzt, rekonstruiert Ekardt im vierten Kapitel seines Buchs, indem er die Entfaltung von Leitmotiven wie Eis/Schnee und Stern/All im virtuellen Raum verfolgt (115–18). Am Wissensfeld des Kosmos lässt sich paradigmatisch nachvollziehen, wie verschiedene Fäden von Kluges Produktion im Netz zusammenschießen. So arbeitete Kluge in frühen Spielfilmen wie Willy Tobler und der Untergang der 6. Flotte von 1969 oder Der große Verhau von 1971 daran, dem Genre der Science-Fiction einen ästhetischen wie politischen Eigensinn abzugewinnen – dies dokumentiert bereits das Booklet, das der DVD-Kollektion der Spielfilme beigegeben ist. Daran anschließend wurde das Themenfeld in einer Reihe von Fernsehmagazinen erschlossen, etwa im programmatischen Interview Die Raumfahrt als inneres Erlebnis von 1999, das auf die produktive Verunsicherung der Grenze zwischen Dokument und Fiktion setzt. Auf der Plattform <www.dctp.tv> werden diese Ansätze nun unter Rubriken wie ,,Kosmos", ,,Die Zukunft der Milchstraßen" und ,,Raumfahrt als inneres Erlebnis" miteinander verknüpft und um weitere Clips ergänzt – auf diese Weise werden werk- und medienübergreifende ,,Konstellationen" von Kluges Arbeit sichtbar, wie Ekardt es in produktiver Aufnahme der wirkmächtigen Sternenmetapher pointiert (121–22).
Gleich zu Beginn bieten die Geschichten vom Kino unter der Überschrift ,,Der Kosmos als Kino" eine interessante Anekdote: Sie handelt vom Juristen Felix Eberty, der in seiner Schrift Die Gestirne und die Weltgeschichte von 1846 die These entwickelt, dass die gesamte Weltgeschichte durch die von der Erde ausgesendeten Lichtstrahlen im All gespeichert sei. Ob Kluge diese Utopie eines ,,kosmischen Universalkinos" nun im Netz realisiert hat, mögen künftige Generationen entscheiden. Wer aber mehr über die medien- und werkgeschichtlichen Voraussetzungen solcher Bilder und Projektionen bei Kluge erfahren möchte, der sollte unbedingt Ekardts Buch lesen.