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Friedrich Schiller, and: Goethe & Schiller. Geschichte einer Freundschaft

Friedrich Schiller. Von Dirk Oschmann. Köln: Böhlau, 2009. 126 Seiten. €9,90.
Goethe & Schiller. Geschichte einer Freundschaft. Von Rüdiger Safranski. München: Hanser, 2009. 344 Seiten. €21,50.

"Meine Absicht bei diesem Versuch ist mehr als erreicht, wenn er einen Theil des lesenden Publikums von der Möglichkeit überführt, daß eine Geschichte treu geschrieben seyn kann, ohne darum eine Geduldprobe für den Leser zu seyn." So Schiller, der immer um seine Leser warb, in seiner Geschichte des Abfalls der Vereinigten Niederlande von der Spanischen Regierung (NA 17, 9). Gleiches ließe sich auch von den vorliegenden Monographien zum Schiller-Jahr 2009 sagen: Bei Oschmann werden Schillers Werke kurz und bündig kommentiert, bei Safranski werden Schillers und Goethes Persönlichkeiten und ihre Freundschaft weit ausholend und gelehrt charakterisiert.

Dirk Oschmanns Büchlein gehört zu einer neuen UTB-Reihe, "Profile" deutscher Dichter, und entsprechend präsentiert er sozusagen einen Schattenriss Schillers. Die Biographie Schillers wird nicht weiter erzählt, sondern als bekannt vorausgesetzt und beschränkt sich auf eine knappe Seite "Eckdaten" (123); desgleichen werden Schillers dramatische Fragmente, seine Bearbeitungen und Übersetzungen europäischer Dramatiker nicht berücksichtigt, ganz zu schweigen von Schillers umfangreicher Korrespondenz und seinen Interventionen ins literarische Leben der Zeit. Das sind für Oschmann die "diskursiven Ränder" (119) von Schillers Werken, auf die er sich wegen der Umfangsbeschränkung der Reihe nicht einlassen kann. Das ist umso bedauerlicher, da Oschmann die Werke Schillers, die er behandelt, kenntnisreich und pointiert zu kommentieren weiß, was das Bändchen zu einer leserfreundlichen Einführung macht. Dass dabei die umfangreiche Schiller-Forschung nur hinweisend zur "Minimalorientierung" (9) genutzt wird, erhöht noch das Lesevergnügen. In der Kürze von Oschmanns jargonfreiem, pointierten Stil liegt die Würze seines Opusculum.

Der rote Faden von Oschmanns Darstellung ist Schillers Anthropologie, die er durch seinen Lehrer Jakob Friedrich Abel auf der Hohen Karlschule kennen lernte und sich in nicht weniger als drei medizinischen Dissertationen mühsam erarbeitete. Diese aufklärerische Anthropologie, die nach der Bestimmung des Menschen und dem ganzen Menschen fragt, findet in Schillers frühen Dramen und seiner Ästhetik ihren [End Page 604] Niederschlag. Der philosophierende Mediziner will, laut Vorrede der Räuber, "die Seele gleichsam bei ihren geheimsten Operationen" beobachten: Franz Moor möchte durch seine "Strategie des Psychoterrors" (Wolfgang Riedel) den Vater und den Bruder aus dem Wege schaffen; die höfischen Intrigen des Präsidenten und seiner Kreaturen wollen die Liebe zwischen Ferdinand und Luise von innen durch Eifersucht aushöhlen; und die alles kontrollierende Inquisition weiss, wie sie Don Carlos und Posa unschädlich machen kann.

Sicher lassen sich die Jugenddramen bis hin zum Don Carlos auch als Protest der Söhne gegen die "Welt der Väter," als "Maßlosigkeit" und "Größenwahn" (29) der Söhne interpretieren. Doch verlieren das "republikanische Trauerspiel" Fiesco, die bürgerliche Tragödie Kabale und Liebe und das historische Drama Don Carlos ihr gesellschaftskritisches und politisches Profil, wenn man sie ausschließlich über den anthropologischen Leisten zieht. Gleiches gilt auch für Oschmanns Beobachtungen zum Historiker Schiller, wenn er die von Kant inspirierte teleologische Sicht der Geschichte (Universalgeschichte) zu kurz behandelt und das von Schiller betonte Freiheitspathos der Niederländer, das Schiller sich sogar für die eigene deutsche Gegenwart wünscht, vernachlässigt.

Für Oschmann ist Schillers Lyrik ebenso "berühmt" wie "berüchtigt"; berühmt wegen ihrer Popularität, berüchtigt wegen ihrer Plattitüden, wie im "Lied von der Glocke" und "Würde der Frauen," die zu Parodien einluden. Schiller empfand das lyrische Fach als "Exilium," es war für ihn gleichsam eine Nebenbeschäftigung. Dennoch wurde seine Lyrik ungeheuer populär, vor allem seine Balladen und die Ode "An die Freude," die durch Beethovens Vertonung deutsches Kulturgut wurde. Schillers Gedichte sind weder Erlebnis-noch Stimmungslyrik, dafür aber als Gedankenlyrik auf philosophisch höchstem Niveau, wie etwa "Die Künstler," "Die Götter Griechenlands" und "Der Spaziergang." In ihnen wird alles Individuelle verallgemeinert, und der "Mensch als Gattungswesen" steht im Mittelpunkt (50).

Oschmanns anthropologische Perspektive bewährt sich ebenfalls in seiner Analyse von Schillers Ästhetik. Zwar geht er auch hier auf den historischen Anlass der Briefe an den Augustenburger Prinzen (Französische Revolution) zu wenig ein; doch die kulturkritischen Passagen, also der Anfang der Briefe über die ästhetische Erziehung des Menschen, dienen ihm als Startrampe, um Schillers ästhetische Lösung des Widerspruchs zwischen Sinnlichkeit und Vernunft, Stoff- und Formtrieb im Spieltrieb und in einem "mittleren Zustand," den Schiller den "ästhetischen" nennt, aufzuheben und durch Kunst den "ganzen Menschen" wieder herzustellen.

Bei der Analyse der klassischen Dramen hätte man sich ausführlichere dramaturgische Kommentare gewünscht, vor allem zu Schillers Ökonomie der Affekte, wodurch er das Interesse der Zuschauer weckt und lenkt, um vorschnelle moralische Urteile zu vermeiden und das Spiel in der Schwebe zu halten. Diese Vernachlässigung mag auch daran liegen, dass Oschmann die dramentheoretischen Schriften zu wenig beachtet. Doch allen möglichen Einwänden zum Trotz bietet dieses "Profil" Schillers eine in vieler Hinsicht anregende Lektüre.

Was bei Oschmann fehlt (fehlen musste), nämlich Schillers umfangreiche Korrespondenz, vor allem mit Goethe, wird durch Rüdiger Safranskis Geschichte der klassischen Freundschaft biographisch und literarisch mehr als ergänzt. Dieser philosophische Schriftsteller weiß dieses schon so oft behandelte Thema spannend zu [End Page 605] erzählen, philosophisch und poetologisch zu kommentieren, kurz: dieser produktiven Freundschaft neuen Glanz zu verleihen. Hatte Safranski zum Schiller-Jahr 2005 schon ein lesenswertes und auch erfolgreiches Schiller-Buch veröffentlicht, Schiller oder Die Erfindung des Deutschen Idealismus, so wird seine These von Schillers "Erfindung" des Idealismus, die damals noch problematisch war, in der Auseinandersetzung mit dem Realisten Goethe nun philosophisch und poetologisch untermauert.

Was diesen Briefwechsel so interessant macht, sind die Werkstattgespräche der beiden Dichter. Sicher gibt es auch private Momente in dieser Korrespondenz, wie der bekenntnishafte Geburtstagsbrief, mit dem Schiller, nachdem sie sich endlich 1794 näher kamen, um Goethe warb; und es gibt auch zahlreiche Mitteilungen familiärer Sorgen, Sorgen um den kranken Freund und freundliche Grüße von Haus zu Haus, aber als ihre Beziehung auf der festen Grundlage der Freundschaft etabliert ist, bieten ihre Briefe fast ausschließlich einen Gedankenaustausch über ihre Werke, was die Forschung immer wieder inspirierte. Für Safranski ist dieser Briefwechsel die "wichtigste Quelle" (13) für sein Buch. Doch wie macht man aus diesem sperrigen Stoff eine interessante Monographie, die den Leser fesselt?

Das gelingt Sanfranski, indem er chronologisch, wenn auch selektiv, die Lebensgeschichte der beiden Dichter bis zu Schillers Tod erzählt. Safranskis schriftstellerisches Talent besteht gerade darin, dass er es versteht, historische Hintergründe, persönliche Begegnungen und poetologische Reflexionen so gekonnt zu verbinden, dass sich die Geschichte dieser Freundschaft fast wie ein spannender Roman liest. Wie er die beiden so unterschiedlichen Dichter seit ihrer ersten Begegnung im Jahre 1779 langsam aufeinander zuführt, bis zu jenem berühmten Jenaer Gespräch von 1794; wie sich diese zwei schöpferischen Menschen über ihre Gegensätze hinweg verbinden und sich gegenseitig inspirieren: Das ist die Summe dieser ungewöhnlichen Freundschaft. Denn entgegen allem inflationären Gerede von Freundschaft bemüht sich Safranski, gerade das in jeder Weise Gegensätzliche und Einmalige dieser Dichterfreundschaft zu entziffern, die Goethe viele Jahre später "ein glückliches Ereignis" nannte.

Sie mieden sich lange. Für Goethe, der 1787 aus Italien zurückkehrte, war Schiller noch immer der ungestüme Sturm-und-Drang-Dichter, und für Schiller war der wohlbestallte Goethe ein Dorn im Auge. Goethe fiel scheinbar alles leicht zu, worum Schiller sich plagen musste. Auch die Nachbarschaft in Weimar und Jena ändert nicht viel daran, bis sie sich 1794 endlich gegenseitig erkannten und für zehn Jahre nachhaltig das literarische Leben beeinflussten. Für beide war es die produktivste Phase ihres Lebens.

Der rote Faden von Safranskis Erzählung ist der Gegensatz zwischen dem Idealisten Schiller und dem Realisten Goethe, der in ihrer engen Beziehung und Zusammenarbeit immer wieder durchschimmert: sei es in ihrem ersten Gespräch über die Urpflanze, in ihrem so unterschiedlichen Verständnis der Symbolkunst oder in ihrer Beurteilung der Antike. Nur hätte Safranski diesen Unterschied anhand von Schillers Programmschrift Über naïve und sentimentalische Dichtung noch stärker akzentuieren können. Denn in ihr geht es Schiller ja gerade darum, den Unterschied zwischen dem naiven Dichter (Goethe) und seiner eigenen sentimentalischen Schaffensweise herauszuarbeiten, ja am Ende der Abhandlung fasst er diesen Gegensatz ihrer Geisteshaltung nochmals als Kontrast zwischen dem Idealisten und Realisten zusammen. Dort hat er für den Realisten, "der durch die Nothwendigkeit der Natur sich bestimmen läßt," fast [End Page 606] mehr Verständnis als für den Idealisten, "der durch die Nothwendigkeit der Vernunft sich bestimmt" (NA 20, 493). Immer wieder ist Schiller bestrebt, "den psychologischen Antagonism" auszugleichen, indem er dem naiven Dichter ein sentimentalisches Verhältnis zu seinen Gegenständen einräumt und den modernen, sentimentalischen Dichter an die Natur zu binden sucht. Das "erfüllte Ideal" wäre das Resultat einer Synthese, "auch unter den Bedingungen der Reflexion die naïve Empfindung, dem Inhalt nach, wieder herzustellen" (NA 20, 473). Dieser immer wieder versuchte Ausgleich durchzieht die Korrespondenz, in der die Freunde immer wieder herauszufinden suchen, was sie poetisch dennoch verbindet.

Doch genug davon. Man kommt als Rezensent dieses Buches zu leicht in Versuchung, in einen Erzählton zu fallen statt zu kritisieren. Dass Safranski seinen Goethe und Schiller genau gelesen hat, dafür stehen die in den Text eingestreuten Zitate; dass er die umfangreiche Forschungsliteratur kennt und geschickt nutzt, dafür spricht seine kluge Auswahl; dass er all dies nicht in Fußnoten ausbreitet, macht das Buch leserfreundlich. Es ist gelehrt, ohne bloße Fachliteratur zu sein; und zu anspruchsvoll, um nur der Unterhaltung zu dienen.

Klaus L. Berghahn
University of Wisconsin-Madison

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