
Einführung in die Lautsymbolik von Hilke Elsen
Von Hilke Elsen. Berlin: Erich Schmidt. 2016. 296 Seiten. + 9 s/w Abbildungen. €29,80 broschiert, €29,81 eBook.
Die Lautlichkeit als Phänomen geschriebener und gesprochener Texte ist ein in Sprachund Literaturwissenschaft vernachlässigtes Thema. Das verwundert angesichts des zunehmenden Interesses, das in diesen beiden Disziplinen wie auch in kulturwissenschaftlichen Arbeiten an Kategorien wie Materialität der Kommunikation, Performanz, Textoberfläche, Wahrnehmbarkeit, Gestalt (vgl. hierzu 145) zu beobachten ist. Die materielle und die semantische Seite der Lautung gehörten eigentlich in diesen Fokus. Hilke Elsen schließt diese Lücke in bemerkenswerter Weise. Ihr Einführungsbuch ist nicht nur für Studierende und Lehrende, an die es sich richtet, sondern für jeden, der sich mit Wörtern und Texten unter dem Aspekt ihrer Gestaltung befasst, eine wichtige Informationsquelle. Das Buch ist zudem ein Muster an Klarheit, Strukturiertheit und Konsequenz im Vorgehen. Auch daher ist es unbedingt lesenswert.
Elsen liefert eine klare Bestimmung ihres Gegenstandes und umreißt die sich daraus ergebenden Arbeitsfelder. Sie will sich einer eindeutigen Definition von Lautsymbolik, die es bisher nicht gebe (12), annähern, indem sie sich dem Thema „auf verschiedenen Ebenen" zuwendet (12). Ihre Definition lautet: „Lautsymbolik heißt, dass unterhalb der morphologischen Ebene die Lautung zum Träger von Informationen wird. Der Begriff bezieht sich nicht ausschließlich auf die Bedeutung einzelner Phoneme, sondern auf alle lautlichen Einheiten wie Merkmale, Segmente und Prosodie" (Rückentitel). Zu den zentralen Aufgabenbereichen der Lautsymbolik zählen „Aspekte wie Schallnachahmung (ping-pong, klapp), de[r] Ausdruck von Gefühlen (au!, ih!) oder die Wiedergabe von ‚natürlichen‛ Bedeutungsaspekten oder Assoziationen durch Sprachlaut(komplex)e (i– ‚kleiner‛, a– ‚größer‛)" (ebd.). Das Buch ist interdisziplinär ausgerichtet und bezieht neben linguistischen auch psychologische, psycholinguistische und kognitionswissenschaftliche Erkenntnisse ein.
Zur Struktur und zu inhaltlichen Schwerpunkten des Buches folgt nun ein knapper Überblick. In der Einleitung (Kapitel 1) geht es um die Gegenstandsbestimmung: Was ist unter Lautsymbolik zu verstehen? Die Beschreibung der unbefriedigenden [End Page 110] Forschungslage, v.a. in der Linguistik, geht zusammen mit Ausführungen dazu, wie wichtig die Beschäftigung mit dem Phänomen und dessen Definition ist, denn „Lautsymbolik scheint ein wichtiges Prinzip für Sprachwandel und Spracherwerb zu sein" (12). Darüber hinaus ist Lautsymbolik für Fragen des Wortgebrauchs und der Textgestaltung (vgl. 148ff.) von Bedeutung. Allerdings könnte man sich zusätzlich auch gezielte textsortenspezifische Überlegungen vorstellen: z. B. zur Gattungsbestimmung (Kinderreime, Werbetexte), zur Intentionalität von Texten (spielerische, fantasiebetonte Texte) und schließlich zur Nutzung von Lautsymbolik als Rezeptionsanreiz in bestimmten Textsorten (vgl. 97). Elsen gibt im ersten Kapitel acht Fragestellungen an (13–14), die sich aus der Beschäftigung mit dem Phänomen unter verschiedenen Aspekten ergeben haben. Am Ende des Buches sind alle diese Fragen erörtert und beantwortet worden (230–232). Die Autorin liefert im ersten Kapitel darüber hinaus die Bestimmung folgender Termini und deren (ja durchaus nicht leichte) Abgrenzungen: Lautsymbolik, Onomatopoesie, Ikonismus, Reduplikation, Ideophon, Phonästhem. Dabei stellt sie zwar Überschneidungen und Lücken fest, verwirft die einmal verwendeten Kategorien aber nicht, sondern klärt, wie man sie unter diesen Bedingungen einsetzen kann.
Im Kapitel 2 bietet Elsen, da es ja um sprachliche Phänomene geht, die notwendigen linguistischen Grundlagen, so dass sie sich im Folgenden auf sichere Begriffe und auf die Kenntnis von deren Beziehung zueinander stützen kann. Es sind: Phonetik und Phonologie (Konsonanten, Vokale, Formanten), Wortsemantik (sprachliches Zeichen, Bedeutung, Arbitrarität) und Lexikologie (Neologismus, Kunstwort, Onomastik).
Im Kapitel 3 folgt ein aufschlussreicher Rückblick auf frühe Überlegungen zum lautmalerischen Ursprung der Wörter (die älteste Frage im Rahmen der Lautsymbolik ist die nach dem Ursprung der Sprache) und auf erste Wortschatzstudien zur klangsymbolischen Wirkung der Wörter (Beziehung von Laut und Bedeutung).
Es folgt in Kapitel 4 die Darstellung aktueller Forschungsansätze. Mit fast siebzig Seiten ist dies das umfangreichste Kapitel des Buches. Das ist aus guten Gründen so; denn hier wird das Feld der Forschung zur Lautsymbolik mit seinen sehr vielfältigen Ansätzen, Fragen und Methoden ausgebreitet. Davon wissen die ins Auge gefassten Leser*innen in der Regel weniger als von linguistischen Phänomenen. Zwei international vertretene Forschungsrichtungen zeichnen sich ab: „Laute einer Sprache und mögliche Korrelationen mit Referenten" und „die Vorstellungen der Sprachbenutzer/innen in Verbindung mit bestimmten Lauten" (49). Beiden geht die Verfasserin nach. Sie bezieht sich auf Forschungen zur Lautsymbolik von Wortschätzen, auf Arbeiten zum Kunstwort, zu akustischen Reizen. zu Wortpaaren und am Ende auf die Lautsymbolik als „Verarbeitungsvorteil" (97ff.). Offene Fragen werden angesprochen, ehe in einer Zusammenfassung die Forschungsergebnisse dieses heterogenen Feldes sehr klar eingeordnet werden. Elsen kommt zu dem Schluss, dass Ursachen für die „Lautsymbolik im engeren Sinne" „akustische, artikulatorische, kinästhetische und neuronale Faktoren" (117) sein können (auf die hochinteressanten Einzelbeobachtungen einzugehen, fehlt hier leider der Platz). Außerdem gibt sie resümierend die bemerkenswerte Erkenntnis weiter, dass „die Entscheidungen vieler Versuchspersonen über viele Versuche und Versuchsdesigns hinweg eine Homogenität" aufweisen, „die solche im Einzelnen subjektive Eindrücke zu überindividuellen Tatsachen werden lässt" (ebd.). Ihr Resümee: „Insgesamt finden wir ausreichend systematische [End Page 111] Form-Bedeutungsentsprechungen, um das Wirken von Lautsymbolik zu beweisen. Sie tritt in allen Wortschätzen auf, allerdings in unterschiedlicher Intensität und nicht für alle Bedeutungsaspekte." (116)
Im Kapitel 5 wird die sprachwissenschaftliche Perspektive eingenommen, sowohl auf diachroner als auch auf synchroner Ebene. Als Ergebnis des Forschungsüberblicks stellt Elsen zum einen fest, dass Lautsymbolik ein Motiv für Sprachwandel sein kann, dass aber zum anderen lautsymbolische Effekte wegen sprachlicher Abnutzungserscheinungen und zugleich wegen des expandierenden Benennungsbedarfs auch zurückgehen. Da mittlerweile große Korpora aus umfangreichen Untersuchungen vorliegen, kann mit Sicherheit gesagt werden, dass Lautsymbolik in verschiedenen Bereichen des Lexikons vorhanden ist und auch über Einzelsprachen hinweg auftritt. Ausgeführt wird das am Fall von Eigennamen, Appellativa, Ideophonen und Phonästhemen. Die Darstellung der Forschungsprojekte und ihrer Ergebnisse kann im Einzelnen nicht wiedergegeben werden. Es sei aber gesagt, dass sich die Lektüre der Ausführungen insgesamt unbedingt lohnt. Das gilt besonders für die textsortenbezogenen Ausführungen zu poetisch-kreativen Texten und Comics sowie für Okkasionalismen. Diese sind eine Fundgrube für das, was man bei der Analyse literarischer Texte berücksichtigen sollte und wozu Stilistiken nichts oder sehr wenig sagen. Im Fazit des 5. Kapitels heißt es: „In poetisch-kreativen Texten verstärkt die Klangebene die Textaussage. Durch gezielte Häufung bestimmter Laute oder Lauttypen und Vermeidung anderer vermitteln solche Texte zusätzliche emotional-stilistische Effekte" (175).
Kapitel 6 widmet sich der interdisziplinären Perspektive. Betrachtet werden zunächst lautsymbolische Wirkungen von Warennamen als Gegenstand der Werbepsychologie. Es schließt sich eine umfangreiche, tiefgehende Darstellung zur Synästhesie (starke und schwache) an, wie es sie bis jetzt in dieser Vollständigkeit noch nicht gegeben hat. Elsen liefert damit „wichtige Anstöße für unser Verständnis von Lautsymbolik und eine weitere Basis für Natürlichkeit" (224). Damit „trägt [die Synästhesieforschung] auch zur Diskussion um das Thema Sprachevolution bei" (ebd.). Diesen Zusammenhang führt Elsen ausführlich und fundiert aus (206ff.).
Im abschließenden Kapitel 7 zur Bedeutung der Lautsymbolik für die Linguistik von heute werden gemeinsame Tendenzen, die sich aus den untersuchten Studien ergeben, zusammengefasst. Außerdem werden die anfangs gestellten Fragen bündig beantwortet und es wird ein Ausblick auf die Zukunft der Forschung zur Lautsymbolik gegeben. Ein dichtes, klares, alle wichtigen Punkte aufgreifendes Fazit schließt den Band ab. Man kann sich gut vorstellen, die Gesamtlektüre des Buches mit der Lektüre dieses Fazits als Einstimmung zu beginnen.
Ein reiches Literaturverzeichnis weist den Leser*innen den Weg zu einschlägigen Forschungsgebieten und -ergebnissen verschiedenster Richtungen und gibt so einen guten Überblick über die gesamte Forschungssituation. Im Vergleich dazu fällt das Sachregister für die Bedürfnisse der Benutzer ziemlich knapp aus.
Fazit: Hilke Elsen rückt mit diesem Buch ein trotz seiner Wichtigkeit bisher vernachlässigtes Thema ins Blickfeld. Sie macht die Vielfalt des Gegenstandes ebenso wie das interdisziplinäre Interesse daran deutlich, geht ebenso auf die Wissenschaftsgeschichte ein wie sie neue Forschungsfragen stellt und neue Sehweisen und Ansätze zeigt. Die klare, systematische, genaue Darstellung, die gut strukturierende Gliederung, die konzisen Zusammenfassungen mit Literaturhinweisen nach jedem Kapitel, [End Page 112] die Konsequenz der Darstellung insgesamt beeindrucken. Bleibt zum Schluss nur die Frage, ob nicht auch der Rhythmus als Gestaltung des Sinns in der mündlichen wie schriftlichen Rede (vgl. 24) hätte einbezogen werden können (vgl. Lösener Der Rhythmus in der Rede 1999).
Es ist zu wünschen, dass dieses Buch die Lautsymbolik wieder zu einem zentralen linguistischen Thema macht.