Reviewed by:

Der Erste Weltkrieg als Medium der Gegenmoderne. Zu den Werken von Walter Flex und Ernst Jünger

Der Erste Weltkrieg als Medium der Gegenmoderne. Zu den Werken von Walter Flex und Ernst Jünger. Von Lars Koch. Würzburg: Königshausen & Neumann, 2006. 387 Seiten. € 49,80.

Eine Vielzahl von Untersuchungen hat in letzter Zeit die kulturelle und gesellschaftliche Bedeutung des Ersten Weltkriegs hervorgehoben. Auch Lars Koch widmet sich in seiner Dissertation Der Erste Weltkrieg als Medium der Gegenmoderne der Rezeption des Ersten Weltkriegs im Kaiserreich und in der Weimarer Republik.

In seiner Arbeit versucht Koch, Kontinuitäten und Brüche im konservativen Denken der Weimarer Republik anhand der Kriegsdeutung der Autoren Ernst Jünger (1895–1998) und Walter Flex (1887–1917) zu verdeutlichen. Der Germanist analysiert das Werk der beiden Autoren auf die kommunikative Funktion hin und stellt den literarischen Umgang mit dem Krieg in einen kulturellen, sozialen und politischen Kontext. Das literarische Schaffen von Flex und Jünger wird demzufolge literatursoziologisch verstanden als ein Mittel der sozialen Gruppenbildung, der kollektiven Reflexion und der politischen Propaganda. Koch setzt sich damit gegen eine ausschließlich ästhetische Lektüre im Sinne Karl Heinz Bohrers (Die Ästhetik des Schreckens, 1978) ab. Vielmehr geht es Koch um die intertextuellen und intermedialen Referenzen. Er will zeigen, auf welchen gesellschaftlichen “Resonanzboden” (Clemens Knobloch) beide Autoren sich beziehen und von welchem “Resonanzkalkül” ihre Schriften motiviert sind.

Anhand der Kategorien “Ausdifferenzierung,” “Rationalisierung,” “Individualisierung” und “Technisierung” skizziert Koch im ersten Teil seiner Untersuchung ein Bild der deutschen Modernitätskritik. Die Ergebnisse dieser Analyse bezieht er im zweiten Teil auf Biographie, Weltdeutung und literarische Produktion der beiden Autoren. Die Lebenswelten von Walter Flex und Ernst Jünger verbindet Koch dabei mit dem allgemeinen Unbehagen an Politik und Kultur in der Weimarer Republik. Den Begriff ‘Modernisierung’ grenzt der Germanist von dem normativen Begriff ‘Moderne,’ wie er von Jürgen Habermas verwendet wird, ab. Auch betont Koch seine Distanz zur poststrukturalistischen “Fetischisierung des Textes” (H. White), geht es in seiner Dissertation doch vor allem um eine diskursanalytische und kontextbezogene Lektüre.

Für beide Autoren durfte das Sterben der deutschen Soldaten im Weltkrieg nicht umsonst sein. Koch zeigt überzeugend, dass ihre Kriegsprosa sowohl Wirklichkeit widerspiegelt als eigene Wirklichkeiten entwirft. Flex betrachtet er als einen typischen Vertreter traditionsorientierter Kulturkritik, während Jünger als Vertreter einer “reaktionären Modernität” (Jeffrey Herf) erscheint. Bei Flex kam es zu einer ideologischen Integration des Kriegserlebnisses in sein bestehendes Weltbild. Jünger entwickelte sein Weltbild während und vor allem nach dem Krieg. Nicht nur die unterschiedliche Herkunft [End Page 303] war dafür ausschlaggebend. Die Autoren erlebten den Krieg an geographisch und kriegsstrategisch unterschiedlichen Schauplätzen.

Für Flex war eine sinnvolle Existenz des Individuums, besonders des Soldaten, nur denkbar, wenn der Einzelne sich dem Ganzen, dem Volkswillen, unterordnete. Der Sohn eines nationalliberalen Gymnasialprofessors betonte das “[A]ufgehen im freud-und leidvollen Gleich und Gleich des Volksganzen.” Den Soldaten betrachtete er als “Glied der heil’gen Schar,” die sich dem Vaterland opfert. Von der Desillusionierung der Kriegsfreiwilligen von 1914 verrät Flex’ Wanderer zwischen beiden Welten keine Spur.

Während Flex literarische Scheinwelten aufbaute, kam es bei Jünger zu einem Gegenentwurf zur bestehenden Gesellschaftsordnung. Es war nicht so sehr Liebe für die Nation, sondern Abenteuerlust, die Jünger im ersten Kriegssommer hatte jubeln lassen. Flex sprach noch romantisierend von “Schild und Schwert.” Bei Jünger gerieten die moderne Kriegsführung und ihre Konsequenz für das Individuum und die Gesellschaft zunehmend in den Vordergrund—nicht nur in seiner fiktiven Kriegsprosa, sondern auch in seinen Essays (Die totale Mobilmachung, Der Arbeiter). Die “blumigen, blutbetauten Wiesen,” auf die der Kriegsfreiwillige hoffte, verwandelten sich schon in kürzester Zeit in eine leere, von Granattrichtern durchsetzte Ödnis. Gegenüber Flex’ idealisierender Prosa ist Jüngers Prosa nüchtern, ja fast zynisch. In Der Arbeiter entwickelt Jünger dann eine Zukunftsvision, die bestehende Zeitphänomene nicht nur bejaht, sondern auch radikalisiert. Der Verlust tradierter Normen und Werte, die Flex beibehalten wollte, stellte für Jünger eine Gepäckerleichterung dar.

Der heute nahezu vergessene Flex war zu seiner Zeit ein erfolgreicher Autor. Von seinem Wanderer zwischen beiden Welten wurden im Erscheinungsjahr 1916 97.000 und bis Kriegsende über eine Viertel Million Exemplare verkauft. Koch zeigt, wie es Flex gelang, seine Kriegsdarstellung adäquat in den bildungsbürgerlichen Dis-kurszusammenhang der Weimarer Republik einzubinden. Seine Schreibstrategie deutet Koch dabei als “rückwärtsgewandtes Ästhetisierungsverfahren” (191), das unter Ausblendung der Kriegswirklichkeit jugendlichen Lesern in ihren Hoffnungen entgegen kam. Auf welche Weise Jünger an Lesererwartungen anschloss, erfährt der Leser jedoch kaum. Klaus Gauger hat aber darauf hingewiesen, dass Jünger bereits früh eine anarchische, eigensinnige Lebenshaltung entwickelte, die seine Sichtweise des Krieges bestimmte. Seine Deutung des Krieges durfte somit wesentlich weniger von den Erwartungen anderer bestimmt sein.

Trotz des Gewinns, der vor allem in der Gegenüberstellung beider Autoren liegt, kann man nicht sagen, dass Kochs Dissertation eine Forschungslücke schließt. Dafür bringen seine Analysen zu wenig Neues zu Tage. So wurde der biographische Hinter-grund von Jüngers Kriegsprosa bereits von Hans-Harald Müller skizziert. Helmuth Kiesel hat die antiaufklärerische Rationalismuskritik in der Weimarer Republik in mehreren Arbeiten dargestellt, und dabei neben Jünger auch Arthur Moeller van den Bruck und Thomas Mann einbezogen. Schon Eckhard Kuhn-Osius hat gezeigt, dass der acht Jahre ältere Flex, anders als Jünger, sich an der Front in Nordostpolen an den letzten beweglichen Schlachten im Stile des neunzehnten Jahrhunderts beteiligte—was seine Kriegsdeutung entscheidend prägte.

Auch ist es für die Skizzierung des geistigen Klimas der Weimarer Republik nicht unbedingt erforderlich, auf Humboldts Staatsvorstellungen, Schillers Fragment gebliebenes Gedicht “Deutsche Größe” und den Goethekult in der Mitte des neunzehnten [End Page 304] Jahrhunderts zurückzugreifen. Kochs Analyse hätte auch mit den ersten Krisen, die den deutschen Nationalstaat ab 1873 erschütterten, einsetzen können. Darüber hinaus machen der ausufernde Fußnotenapparat und der Fachjargon des Germanisten diese Dissertation zu einer mühseligen Lektüre. Es ist bezeichnend, dass Koch den poetischen Leitfaden des Wanderers mit der Formulierung “wirklichkeitsentmachtende Emotionalisierung durch auratisch-traditionalistische Einhegung moderner Polyvalenz-Erfahrung” auf einen “einfachen Nenner” (172) zu bringen meint. Die klar formulierten Schlussfolgerungen der Analysen stammen denn auch meist aus der Feder anderer Wissenschaftler.

Der Gewinn dieser Studie liegt vor allem im kontrastierenden Vergleich zweier Autoren, die dem Ersten Weltkrieg einen wenn auch diskutablen, so doch faszinierenden Sinn gegeben haben. Vor allem für die Jünger-Forschung ist ihr Beitrag jedoch beschränkt. Dafür stützt Kochs Dissertation sich zu stark auf bereits vorliegende Literatur.

Jerker Spits
Universiteit Leiden

Share