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Remembering Africa: The Rediscovery of Colonialism in Contemporary German Literature by Dirk Göttsche

Remembering Africa: The Rediscovery of Colonialism in Contemporary German Literature. Studies in German Literature, Linguistics, and Culture. By Dirk Göttsche. Rochester, NY: Camden House, 2013. Pp. viii + 485. Cloth $95.00. ISBN 978-1571135469.

Der an der University of Nottingham lehrende Germanist Dirk Göttsche ist einer der besten Kenner der deutschsprachigen zeitgenössischen Literatur, insbesondere der literarischen Texte, die sich mit dem kolonialen und postkolonialen Afrika auseinandersetzen. Er hat bereits zahllose Zeitschriftenartikel und Beiträge in Sammelbänden zu Einzelaspekten dieses Themas vorgelegt, die in diese ausführliche Monographie eingeflossen sind und zu einem wissenschaftlich hochkarätigen Standardwerk beitragen, das souverän einen Korpus von etwa fünfzig Texten vorstellt, gegeneinander abwägt, deren ästhetische Strategien aufzeigt und sie in ihrem historischen Kontext interpretiert. Dabei geht Göttsche thematisch vor, indem er nach einem Eingangskapitel, das auf seine methodische und literaturwissenschaftliche Verankerung in dem Dreieck von postkolonialer Theorie, interkultureller Germanistik und Gedächtnisforschung reflektiert, zunächst die literarischen Texte in eine Gruppe zusammenfügt, die sich mit der Erinnerung des deutschen Kolonialismus auseinandersetzen. Hier findet man Analysen von Uwe Timms Morenga (1978), Gerhard Seyfrieds Herero (2003) und Alex Capus’ Eine Frage der Zeit (2007), aber auch von weniger bekannten Texten, die noch nicht in den etablierten Kanon zeitgenössischer Literatur eingegangen sind, wie zum Beispiel Patricia Mennens Der Ruf der Kalahari (2010), Beatrix Mannels Der Duft der Wüstenrose (2012) oder Ilona Maria Hilliges’ Ein Kind Afrikas (2009). Da der Fokus auf Vollständigkeit und Verortung in einem Feld von thematischen und ästhetischen Fragestellungen liegt, hat das zur Folge, dass die Analyse von komplexeren und anspruchsvolleren literarischen Versuchen der Erinnerung an die deutsche Kolonialzeit manchmal zu kurz kommt und neben eher populären Genres steht, so dass von der Gewichtung her möglicherweise der Eindruck entstehen könnte, sie seien vergleichbar in Anspruch und Durchführung. Dem wirkt Göttsche effektiv entgegen einmal dadurch, dass ein Werkregister die Leser auf die jeweiligen Passagen, in denen Einzelwerke kommentiert werden, hinweist, und ein andermal dadurch, dass er immer wieder Bewertungen der jeweiligen ästhetischen Strategien und ethischen Probleme bei der Behandlung von kolonialen Themen einfließen lässt und somit seine Position deutlich macht. [End Page 238]

Es geht Göttsche in dieser Sichtung des Korpus von literarischen Afrikadarstellungen darum herauszuarbeiten, dass diese Texte zu einem erneuten und komplexen Verständnis der deutschen und europäischen Kolonialzeit in einem kultur-politischen Umfeld beitragen, das von einem postkolonialen Bewusstsein, einem inter- und transkulturellen Verständnis und einer globalen, multikulturellen Dimension geprägt ist. Das dritte Kapitel behandelt dementsprechend das Korpus von literarischen Darstellungen von Kolonialismus aus inter- und transkultureller Perspektive, beispielweise Hermann Schulz’ Auf dem Strom (1998), Ilija Trojanows Der Weltensammler (2006) und Hans Christoph Buchs Sansibar Blues oder Wie ich Livingstone fand (2008) neben anderen nicht so bekannten Werken, die durch ihre von postkolonialen Theoremen inspirierte literarische Inszenierung von Asymmetrien auf die problematische Geschichte der europäischen Expansion aufmerksam machen. Ein Zwischenkapitel zum Thema koloniale Stimmen und der Frage, wie man als Autor und Kritiker mit ihrer Literarisierung umgeht, führt in die Debatte ein, die von einigen Autoren geführt wurde. Uwe Timm beispielsweise hatte sich für ein strenges Fokalisierungsverbot ausgesprochen. Göttsche hält dagegen, dass in einem global sich verstehenden, von transnationalen Perspektiven geprägten Deutschland der Wunsch nach der Literarisierung afrikanischer Stimmen eine andere Bedeutung habe. Das ist eine Position, die man diskutieren kann, aber sie zeichnet Göttsches Ansatz aus und resultiert folgerichtig aus seiner Überzeugung, dass der hier vorgestellte Korpus der deutschsprachigen Afrikaliteratur am gewinnbringendsten aus interkultureller Perspektive verstanden werden muss.

Ein viertes Kapitel widmet sich der Frage, inwiefern und wie die zeitgenössische deutschsprachige Afrikaliteratur tradierte Stereotypen des europäischen Kolonialdiskurses weiterschreibt beziehungsweise inwiefern und wie sie sie unterläuft. Hier ist Göttsches Lektüre von Thomas Stangls Der einzige Ort (2004) einschlägig, ein Text, den er in den Zusammenhang der Diskussion um die von Axel Dunker und Herbert Uerlings postulierte postkoloniale Ästhetik rückt und dessen radikale Technik der Selbstreflexion Göttsche als Inszenierung der Mythen des europäischen Afrikadiskurses interpretiert, eine Technik, die allerdings gleichzeitig auch eine postmoderne Faszination mit exotischen Mythen bedient. Hier korrigiert der interkulturelle Ansatz quasi eine einseitige Faszination der Dekonstruktion mit spielerischen Elementen, wie Göttsche anhand seiner Diskussion von Max Blaeulichs Kilimandscharo zweimeteracht (2005) aufzeigt. Göttsche war Mitglied des von Axel Dunker und Gabriele Dürbeck geleiteten DFG-Netzwerks “Postkoloniale Studien in der Germanistik,” das von 2008 bis 2011 in einer Reihe von Tagungen und Workshops methodische und inhaltliche Fragen des Postkolonialismus im speziellen Kontext der Germanistik diskutiert hat. Seine Überzeugung, dass eine postkoloniale Ausrichtung in der Germanistik sich dezidiert mit deutschen Analysetraditionen wie der interkulturellen Germanistik und der Gedächtnisforschung [End Page 239] auseinandersetzen muss, ist Resultat dieser Diskussionen und zeichnet Göttsches speziellen Ansatz aus.

In einem fünften und letzten Kapitel diskutiert Göttsche die Verklammerung von Kolonial- und Familiengeschichte und der daraus resultierenden Spurensuche anhand einschlägiger Romane wie Stephan Wackwitz’ Ein unsichtbares Land (2003), wo Familiengeschichte und Nationalgeschichte in einen internationalen und transnationalen Kontext gerückt wird, der die Realität des heutigen multikulturellen Deutschland spiegelt. Im Zentrum dieses Kapitels steht Göttsches Analyse von Christof Hamanns Roman Usambara (2007), der mit Humor, Ironie und Groteske arbeitet und so eine genuine postkoloniale Sicht auf die Kolonialgeschichte entwirft, der intertextuell über die Lektüre von Raabe gespiegelt wird. Hamann war ebenfalls Mitglied des DFG-Netzwerks und von daher mit der literaturwissenschaftlichen Diskussion von postkolonialen Positionen vertraut. Göttsche, der aus der Raabeforschung kommt, legt hier eine souveräne Interpretation von Hamanns Roman als epistemologische Kritik von zugeschriebenen historischen Quellen und authentischen Erinnerungen vor, die auf metafiktionaler Ebene den Unterschied von Fakt und Fiktion inszeniert. Göttsche scheut sich davor, den Roman als Parodie von postmoderner Metafiktion zu lesen. Vielmehr rückt er ihn in die Tradition des Generationen übergreifenden Familienroman ein, dessen Genrekonventionen postkolonial unterfüttert werden.

Insgesamt ist das Ergebnis dieser kritischen Durchsicht durch den Korpus des zeitgenössischen deutschsprachigen Afrikaromans ambivalent. Einige der literarischen Texte, die schwächere und populäre Diskurse reproduzierenden, bedienen weiterhin die Mythen des europäischen Kolonialdiskurses, andere—die ästhetisch anspruchsvolleren—arbeiten mit dem Archiv der literarischen Moderne und Postmoderne und entwickeln genuine Ansätze für eine deutschsprachige Form von postkolonialer Ästhetik. Aber alle Beispiele sind Beweise für das, was Göttsche ein neues Interesse an der deutschen und europäischen Kolonialgeschichte nennt, das im zeitgenössischen Deutschland diesen Aspekt fest ins Zentrum des allgemeinen Verständnisses von Nationalgeschichte rückt. Göttsche spricht sogar von einer paradigmatischen Verschiebung dieses Verständnisses. Insgesamt müssen wir Göttsche sehr dankbar sein dafür, dass der gesamte Korpus des zeitgenössischen deutschsprachigen Afrikaromans jetzt gesichtet vorliegt und für die englischsprachige komparatistische Forschung analysiert zugänglich gemacht wurde. Das ist ein großes Verdienst und wird diese Studie zu einer Pflichtlektüre machen für alle, die sich mit zeitgenössischer Literatur und deutscher Kolonialgeschichte befassen. [End Page 240]

Sabine Wilke
University of Washington

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